Büchertisch

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Über die Durchlässigkeit von Grenzen
Impressionen von den 39. Innsbrucker Wochenendgesprächen von Joe Rabl

Knapp vier Jahrzehnte haben sich die Innsbrucker Wochenendgespräche schon als Diskussionsforum bewährt, um die verschiedensten Facetten des Schreibens – und Lesens – bei unterschiedlicher Themenstellung auszuleuchten. Vom „Eros im Kleid der Dichtung“ über „Literarische Mutter- und Vaterfiguren“ bis hin zum Verhältnis von „Literatur & Wissenschaft“. Heuer stand ein Genre im Mittelpunkt, das – gerade im deutschsprachigen Raum – lange Zeit in die „Schmutz-und-Schund“-Schublade gesteckt wurde und gegenwärtig immer noch um Reputation kämpft: der KRIMI oder, in einer etwas wohlwollenderen Bezeichnung, KRIMINALROMAN.

Ein Genre also, das lange Zeit nicht ernst genommen wurde und doch voller interessanter Möglichkeiten steckt. Die individuellen Zugänge der Autorinnen und Autoren zeigten denn auch die große Bandbreite jener Texte auf, die unter dem Label „Krimi“ firmieren, wobei man sich schnell darauf einigte, dass es gar nicht so wichtig sei, ob ein Buch als Krimi oder als Roman gilt, wichtig seien hier wie dort ganz andere Kriterien. Der Markt aber verlangt nach solchen Zuschreibungen; und inwieweit man beim Schreiben diesem Druck nachgibt und eine Leserschaft bedient, die sich seichte Unterhaltung wünscht, oder ob man die Mittel des Genres nutzt, um relevante Literatur zu schaffen, liegt im individuellen Ermessen. Das gilt nun freilich für alle Literatur, und die Durchlässigkeit der Grenze Krimi/Nicht-Krimi und die Diskussion darüber, wie es zu dieser Grenzziehung kam und wozu das gut sein soll, zog sich als Konstante durch alle Gespräche.

Man kann die Frage ja auch anders stellen: Warum schreibt jemand einen Krimi und welche Vorteile bietet das formale Gerüst, das von den Regeln des Genres definiert wird? Vielleicht ist es ja so, dass die menschlichen Grundkonflikte, wenn man sie im Fokus eines Verbrechens und seiner Aufklärung greller beleuchtet und betrachtet, begreiflicher werden. MERLE KRÖGER will herausfinden, was die Menschen antreibt, also begegnet sie ihnen in ihren Büchern (und Filmen) auf Augenhöhe und macht ihre eigene Haltung zur Welt explizit. Ob da „Krimi“ draufsteht oder nicht, ist ihr egal; es geht um Literatur mit einem „großen Potential für Realismus“, die „nicht abbildet, sondern Realität interpretiert“. Ähnlich sieht es OLIVER BOTTINI, der ein „Plädoyer für einen relevanten Kriminalroman“ hält, denn „Kriminalromane können mehr, als nur zu unterhalten. Sie können relevant und wichtig sein“. Entscheidend ist, wie sie das tun, und damit ist nicht nur der Umgang mit den Konflikten angesprochen, sondern der formale Zugriff darauf; denn Sprache ist – natürlich auch im Kriminalroman – nicht Dekor, sondern eine inhaltliche Kategorie, und nur was sprachlich relevant ist, ist auch als Roman relevant.

ROBERT HÜLTNER führt in seinen Kriminalromanen einen Diskurs über Zwischenmenschliches; genau hinsehen und sich mit den Zuständen kritisch auseinandersetzen ist ihm dabei oberstes Gebot. Das Etikett ist ihm nicht wichtig, vielmehr die Frage, ob es gelingt, abstrakte Konflikte emotional spürbar zu machen; die Konzentration auf die Dramaturgie, die der Kriminalroman in groben Zügen vorgibt, kann dabei sehr wohl eine Hilfe sein. Auch FRANZOBEL gibt das Genre (die „Schraubzwinge“) Halt beim Schreiben, die größte Herausforderung sieht er darin, sein „verspieltes, sprachreflexives Schreiben mit der zum Spannungsaufbau notwendigen Knappheit zu verbinden“. Und wenn er seine Kriminalromane als „Franzobel light“ bezeichnet und Krimis als „Romane mit Leichen“, dann schwingt hier sehr viel Understatement mit.

PIEKE BIERMANN weist darauf hin, dass das formale Grundmuster, das so viele Krimis unhinterfragt durchbuchstabieren, Ideologie reproduziert; weil das Leben vielschichtiger ist, als die Wiederherstellung einer wie auch immer gestörten heilen Welt nahelegt. Interessanter sind da schon die Variationen und Brüche des Musters; und ganz wesentlich sei es, die Geschichte aus den Figuren heraus zu erzählen, das Verhandeln von Normen in den Figuren zu spiegeln und glaubwürdig in Zeit und Raum zu verorten. Aber sind wir überhaupt noch in der Lage, eine kompliziert gewordene Welt mit ihren Verbrechen abzubilden, fragt sich MARTIN WALKER. Zumindest eignet sich der Kriminalroman „vorzüglich als Vehikel für gesellschaftliche Beobachtungen und Kommentare“. Der Krimi-Aspekt ist ihm ohnehin nicht so wichtig, will er doch von der Geschichte, vom Leben, der Landschaft in Frankreich erzählen und seinen Leserinnen und Lesern eine vergessene Ecke seiner Wahlheimat näherbringen.

An seine wachsende Leserschaft denkt auch BERNHARD AICHNER, der mit seinen Thrillern die Menschen rühren will; Kriminalromane, die einem ein Stück Welt näherbringen, gehören auch in keine Schublade, denn: „Darf gute Literatur nicht unterhalten? Darf ein Kriminalroman nicht substanziell sein? Politisch sein? Philosophisch sein? Doch, er darf.“ Die substanziellen Romane gibt es ja, vermerkt STEFAN SLUPETZKY, der den gegenwärtigen Krimi-Boom zu erklären versucht, nur gehen sie in einem Berg von Schund zusehends unter. Und für manche Themen bietet sich eben ein Nicht-Krimi (ein Wort, das sehr häufig fällt bei diesen 39. Innsbrucker Wochenendgesprächen) an, weil sich nicht alle Erfahrungen in einem Krimi ausdrücken lassen respektive einem ein Roman mehr Freiheit bietet.

Kriminalromane können emotionale Wut ausdrücken und Wut hat mit struktureller Gewalt zu tun; dass man dabei leicht ins Moralisieren gerät und der moralische Zeigefinger sich auf alle Literatur und schon gar einen Kriminalroman verheerend auswirkt, darüber sind sich alle einig. Die Strategien dagegen sind vielfältig und reichen von glaubwürdiger Figurenzeichnung bis zum Betrachten und Beschreiben der Welt aus verschiedenen Perspektiven; nicht zu vergessen den Humor, denn Humor und die Fähigkeit, sich selbst ironisch zu hinterfragen, weiß SUNIL MANN, „nimmt dem Moralisieren die Spitze“. Was umso wichtiger ist, weil Kriminalromane an sich Moral verhandeln.

Dass sie dabei in alle Richtungen offen bleiben und dass Kriminalromane genau deshalb so vielseitig und für viele Interessen nutzbar sind, darauf weist EVA ROSSMANN abschließend hin. Sie hat zwei Tage lang die in viele Richtungen mäandernde Diskussion immer wieder auf die Frage zu fokussieren gewusst: Worüber schreiben wir und wie schreiben wir, wenn wir einen Kriminalroman schreiben? Und ob jemand unterhalten will oder gesellschaftlich relevante Themen verhandelt: Es geht nicht darum, sich der absurden Grenzziehung Krimi/Nicht-Krimi zu unterwerfen, sondern die emotionale Berührung durch Zustände in der Welt glaubhaft und in angemessener literarischer Form zu vermitteln. Dass der Kriminalroman sich dafür ganz besonders eignet, das haben die diesjährigen Innsbrucker Wochenendgespräche deutlich gemacht.

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