Einige ungeordnete Gedanken zu Literatur & Musik, Lärm & Text, Pop und Poesie

Literatur und Musik sind wie Geschwister im Wettstreit. Geht es um die perfekte Form, gewinnt die Musik. Geht es um Inhalt, die Literatur. Es möchten immer beide gewinnen, das ist so bei sich konkurrenzierenden Geschwistern.
Die Musik strebt an, viele und komplexe Gefühle auszulösen, die Literatur will möglichst formvollendet sein.
Aber ein Lied, dass zu viel erzählen will, verliert an Musikalität, und ein absolut perfektes Gedicht ist wohl nur noch Laut.

Doch wie es bei Geschwistern so ist, sind sie verwandt und sich somit ähnlich. Es gibt keine inhaltslose Musik, und es gibt keine unmusikalische Sprache.  
Damit ist aber noch nichts zur Schönheit gesagt. Es gibt, da sind wir uns alle einig,  auch hässliche Geschwister, misslungene Lieder und misstönende Gedichte. 

Lese ich ihnen zum Beispiel die Nutzungsbedingungen von Google vor, erklingt zwar auch meine Stimme, es ergibt sich eine Melodie durch Vokale und Rhythmus durch Silbenreihung und Satzzeichen. Doch wird die Musikalität etwa so absichtslos klingen wie wenn ich mit einer Lochzange Löcher in ein Papier stanzen würde und dieses einer Drehorgel füttern.

Die Musik hat meiner Ansicht nach formal mehr durchgemacht als die jüngere Schwester Literatur. Zeitgenössische Musik ist unglaublich vielfältig und es existiert fast alles gleichzeitig.
Experimentelle, maschinelle, Zwölf- und Vierteltonmusik, Pop-, Techno- Volksmusik und Trap, Westliche und Arabische, Asiatische, Indische und Afrikanische traditionelle und elektronische Weltmusik.

Auch ist unter klassischer Musik etwas ganz anderes als unter klassischer Literatur zu verstehen: Klassische Musik heute ist experimenteller als die Literatur in den zwanziger- oder fünfziger Jahren.

Und die Popularität von Musik – das ist nun eine Behauptung – hat sicher nicht abgenommen, sie ist allgegenwärtig, bei der Literatur bin ich mir da nicht so sicher. Gerade Lyrik scheint sich ihr Gärtchen immer so eng abzustecken, dass alles populäre ausgeschlossen wird.
Text ist überall. Auch wird heute mehr geschrieben als vor den Zeiten der Smartphones, aber Literatur? Ich weiß nicht.

Vielleicht sind ja Lärm und Text auch Geschwister. Aber das ist hier nicht das Thema.  

Lieber noch was zu meiner Arbeit. Ich kann nicht unmusikalisch schreiben, und mache kaum Musik ohne Text. Aber ich zähle selten Silben ab oder lasse die Musik den Text bestimmen, wenn ich Gedichte schreibe. Und die Texte, die ich zu Musik schreibe, würde ich nicht als Literatur im engeren Sinn verstehen wollen. Ohne die Musik machten sie nicht den Sinn, den ich beabsichtige.
Wie dem auch sei, auch ich finde, dass Bob Dylan ein besserer Autor als Sänger ist, und dass vielleicht die Lyrik gerade im Deutschen Sprachraum wieder etwas Pop zulassen sollte, damit sie relevant bleibt...

Raphael Urweider

© 2003-2018 Innsbrucker Wochenendgespräche - E-Mail - Impressum - Datenschutz