Büchertisch

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Musik ist nicht gleich Sprache, aber Sprache kann Musik sein
Ein sehr persönlicher Rückblick auf die 41. Innsbrucker Wochenendgespräche

Es waren, nach Jahren als Zuhörer, meine fünften Wochenendgespräche als Mitveranstalter, und möglicherweise die stimmigsten. Das mag zum Teil am Thema gelegen haben: Literatur und Musik, zwei Geschwister, die sich gegenseitig beeinflussen und befruchten, das ist ein weites Feld, das sich diskutierend trefflich abschreiten lässt. Aber auch anderes hat beigetragen zu einem harmonischen, gleichwohl höchst spannenden literarisch-musikalischen Wochenende. Neun inspirierte, kluge, gutgelaunte, diskutierfreudige Autorinnen und Autoren, geleitet von einem wunderbaren Moderator, der sich uneitel zurücknimmt und doch immer zur Stelle ist, wenn er gebraucht wird, um die Veranstaltung wie selbstverständlich am Schnurren zu halten.

Großartig schon der Auftakt im ORF Studio 3: STEFAN SLUPETZKY eröffnet mit einem Text, der uns einbläut, was wir alles müssen, und gleichzeitig demonstriert, wie toll es klingt, wenn ein Autor an seinem Text auch auf der klanglichen Ebene feilt. Nach der melodischen Prosa von ANNE VON CANAL und JÜRG BEELER, dazwischen Gedichte von CHRISTOPH W. BAUER, das erste Highlight dieses an besonderen Momenten reichen Wochenendes: LISA BASSENGE gibt drei Songs zum Besten, fasziniert mit ihrer warmen Stimme und coolen Texten.

Diskutiert wird wie immer im Tiroler Landestheater; im Ensembleprobenraum: vorne die Autorinnen und Autoren, links der Büchertisch, der dieses Jahr nicht nur Bücher, sondern auch jede Menge CDs der Teilnehmenden trägt, rechts die Herren vom ORF mit ihrem technischen Equipment. Im Nebenraum die Balletttruppe des Tiroler Landestheaters, und im Raum darüber der Chor beim stimmlichen Feinschliff für die Abendvorstellung …

Einige Fragen, um die die Diskussion in den beiden Tagen immer wieder kreist: Ist Sprache Musik? Hat Musik eine semantische Ebene? Wie funktioniert musikalische Sprache? Was macht die Melodie eines Textes aus? Kann Musik etwas, das Sprache nicht kann? Wie nehmen wir Musik wahr, wie Sprache?

Einige Antworten: Musik ist nicht gleich Sprache, denn Sprache hat eine semantische Ebene. Aber man kann Musik zu Hilfe nehmen, um etwas auszudrücken, Bedeutung zu transportieren, was beim Schreiben auch ganz intuitiv vor sich gehen kann. Musik nehmen wir über Emotionen wahr, Texte mit dem Verstand; aber auch Literatur, schon gar die Lyrik, löst emotional bei den Rezipierenden etwas aus. Musik und Literatur sind zwei nahe Verwandte, und Dichter waren früher Sänger; zu unterscheiden wäre geschriebene und gesprochene Sprache, Prosa und Lyrik. Musik ist heute der Seismograph für gesellschaftliche Stimmungen, früher war es die Literatur. Ein Gedicht kann/sollte man als Partitur ansehen, von der Autorin, vom Autor vorgetragen wie eine Komposition von einem Orchester. Und überhaupt: Jeder Text ist eine Komposition und man muss auch in der Literatur nicht immer alles verstehen. Was beide Künste eint, ist die Bedeutung der – Stille.

Und dann wieder so ein besonderer Moment: Fritz Ostermeyer bricht eine Lanze für den Schlager, dank ORF mit Musikzuspielung, und plötzlich weht Wahnsinn von Roy Black durch den Raum; konterkariert von einer Interpretation der Formation Der Scheitel. Und was sich da gleich wieder an neuen Fragen auftut und an Überlegungen: was man in welcher Sprache singen kann und was nicht; wie sehr man sich von Kunst auch rühren lassen kann; und schnell landet die Diskussion bei E und U, und von da ist es nicht weit zum Kunstbetrieb mitsamt Förderkriterien, Zuschreibungen, Mythen …

Wie passend, dass PETER HENISCH am Abschlussabend aus seinem Roman Morrisons Versteck liest und den Übermythos Jim Morrison herbeizitiert. Zuvor schon schlägt FRITZ OSTERMEYER einmal mehr den Bogen vom Reden und Lesen zur musikalischen Performance und antwortet auf Lisa Bassenges jazzige Eröffnungs-Chansons mit stimmgewaltigem Kitsch noir. Melodisch und klanglich ein Erlebnis auch die beiden Lyrik-Performances von RAPHAEL URWEIDER und GERALD FIEBIG. Und zum Schluss LYDIA HAIDER, die die Stimmenvielfalt in ihrem Roman mit technischer Unterstützung durch einen Voice Recorder hörbar macht.

Musik ist nicht gleich Sprache, aber Sprache kann Musik sein: Wer es hören wollte, bekam das bei den 41. Innsbrucker Wochenendgesprächen in größtmöglicher Vielfalt und aufs Schönste demonstriert. Und was an Fragen und Überlegungen durch den Raum schwirrte in diesen Tagen, wird mich wohl noch lange beschäftigen und an dieses literarisch-musikalische Wochenende erinnern. Und an liebe Menschen, die ich kennengelernt beziehungsweise wiedergesehen habe.

Joe Rabl, im Mai 2018

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