Büchertisch

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Ein Rückblick auf die abenteuerlichen 42. Innsbrucker Wochenendgespräche

Vom 23.5 bis 25.5 trafen sich 10 Autorinnen und Autoren zu den 42. Innsbrucker Wochenendgesprächen, um über das Thema Reisen und Literatur zu diskutieren. Über deren Schönheiten, Schattenseiten, Auswirkungen auf sich selbst und die Umwelt und nicht zuletzt über die Art und Weise, wie darüber geschrieben wird bzw. werden kann. Fragen, die uns während den drei Tage begleiteten, waren: Was bewegt den Menschen zum Reisen? Wie lässt sich die Sehnsucht nach der Ferne erklären? Ist das Reisen moralisch vertretbar?

Am Donnerstagabend startete die spannende und vielseitige literarische Reise. Beginnen durfte STEFAN SLUPETZKY, der während den drei Tagen wieder die Moderation bei den Gesprächen übernahm. Er las aus seinem Buch „Lesereise Mauritius“ und lieferte damit die erste Antwort darauf, was einen zum Reisen bewegt: „Der heutige Mensch fährt nicht so sehr weg, um sich einem Ziel zu nähern, als vielmehr, um sich von daheim zu entfernen. Je weiter weg, desto besser, denn: Sein Leben geht ihm auf die Nerven.“ Anschließend trat THOMAS STANGL auf die Bühne, um aus seinem Roman „Fremde Verwandtschaften“ und aus seinem Erzählband „Die Geschichte des Körpers“ zu lesen. Mit fotografischer Genauigkeit lässt er die Leser/innen das Beobachtete miterleben. KATHARINA WINKLER nahm uns mit auf eine andere Art der Reise, eine, die Koordinaten sprengt. Reisen bedeutet für sie Ausbruch aus sich selbst. Mit melodischer Stimme las sie aus ihrem Debütroman „Blauschmuck“; brutal, kalt und poetisch. Ihr folgte SASCHA REH, der mit Witz und Sympathie eine ganz andere Energie auf die Bühne brachte. Er nahm das Publikum mit auf ein Abenteuer des Lokalreporters Ole aus seinem Buch „Aurora“. Die Reise, die Ole erlebt, spielt in der engen Räumlichkeit eines Panzers und führt ins Innere seiner Mitfahrer. Abschließend führte uns STEFAN MOSTER durch die letzte Reise an diesem Abend, eine Reise in die Freiheit. Er las aus seinem Buch „Alleingang“; wir begleiten den Protagonisten Freddy auf seiner Zugfahrt, die ihn weg aus der Haftanstalt und in die Stadt führt. Moster beschreibt eindrucksvoll, wie Freddy durch den Blick aus dem Fenster eine alte Welt neu entdeckt.

Joe Rabl begrüßte am Freitagmorgen die Autor/innen, das zahlreich erschienene Publikum und die Studierendengruppe der Komparatistik, die heuer bei der Vorbereitung unterstützend mitwirkte. Zum Gespräch eingeladen waren ANDREAS ALTMANN, MARTIN AMANSHAUSER und TINA UEBEL. Passend zum Friday For Future ließ sich auch im Ensembleproberaum des Tiroler Landestheaters die Frage nicht vermeiden, ob Reisen, im Besonderen Fernreisen, in Zeiten der Klimakrise, oder wie Greta Thunberg sagen würde, in so einem Notfall, noch vertretbar sein können.

In seinem Statement, das ANDREAS ALTMANN als Erster las, schreibt er über das Glück seines Berufes als Reisereporter; schreiben und sich fortbewegen. Für ihn ist das Wichtigste am Reisen, dass man hinsieht, aus der Blase, in der man lebt, heraustritt. Außerdem berichtete er von seiner Reise-Erfahrung in Mexiko, von der Gewalt und zugleich aber auch von der Offenheit der Menschen.

MARTIN AMANSAUER schreibt als Reisejournalist für die Presse. Humorvoll erzählte er von seinen Erfahrungen, die er als Schreibender verschiedenster Genres gesammelt hat. Sein Statement las er nicht, „is ja nur so a Text“. Auf den Pressereisen, erzählte er, erlebe man nichts. Ins Nationalmuseum werde man geführt, obwohl er lieber ins Café gehen würde.

TINA UEBEL schreibt in ihrem Statement; „Ich reise nicht, um meine Meinung in die Welt zu tragen, sondern um neue, vielleicht bessere kennen zu lernen.“ Ihr geht es darum, die Reise mit Offenheit anzutreten. Zuerst richtig wahrnehmen, und nicht urteilen. Unter Umständen, sagt sie, muss man sich selbst loswerden.

Gegen Ende des Gesprächs entstand eine hitzige Diskussion über Political Correctness, sprachliche Diskriminierung, das Binnen-I, Reisen und die Umwelt. Über allem die Frage um die Legitimierung der Vergnügungsreisen als reiche Europäer. Vielleicht sogar, um anschließend darüber zu schreiben und Geld damit zu verdienen? Stefan Slupetzky musste die Diskussion um 12:00 Uhr zu Ende bringen, zumindest im Ensembleproberaum, denn draußen vor der Tür wurde sie fortgeführt.

Auch der Nachmittag gestaltete sich im Gespräch mit MANUELA DI FRANCO, TIM KROHN und STEFAN MOSTER nicht weniger aufregend, als es um die Frage ging, wie gereist werden soll. Einige mögliche Antworten, die im Laufe des Nachmittags fielen:

MANUELA DI FRANCO: Ihre Lieblingsart zu reisen ist die mit dem Zug. Er hat die richtige Geschwindigkeit, um voranzukommen, aber auch, um das Gefühl für den Weg nicht zu verlieren. Man bewegt sich zwischen Sein und Nichtsein, man ist nicht da und nicht dort. In ihrem sehr persönlichen Statement schreibt sie, dass das Reisen eine Veränderung des Bewusstseins fordert. Auf Reisen erlebt man sich selbst als fremd, wodurch ein anderer Blick auf sich selbst ermöglicht wird. Für Manuela Di Franco ist Verreisen aber auch mit Ungerechtigkeit verbunden; die Reise der Armen als Flucht, und die der Reichen als Vergnügen.

TIM KROHN: Für ihn ist die Mikroreise optimal, denn Spannendes kann man auch auf kleinem Raum erleben. Denn mit jedem Blick, wenn man nur genau genug hinsieht, lässt sich etwas Neues entdecken. Zudem machte er auf die begrenzten Ressourcen aufmerksam. Solange es keine umweltschonendere Alternative für das Fliegen gibt, werden er und seine Familie keine Fernreise mehr antreten.

Auch STEFAN MOSTER schreibt in seinem Statement über die kritischen Aspekte des Reisens, wie den Massentourismus und die Klimakatastrophe. Es herrsche die Ansicht, dass man sich die Schönheit erfliegen (erwerben) könne, dass das Flugticket ein Garant für ein Abenteuer sei. Er hingegen ist der Meinung, dass man die Geschwindigkeit reduzieren muss, denn Zeit sei die eigentliche Währung des Reisens.

Nach einem Tag, der sich mehr auf das Reisen an sich konzentrierte, legte Stefan Slupetzky am Samstag, den 25.5 den Fokus stärker auf die darauf bezogene Literatur. Am Podium diskutierten KATHARINA WINKLER, THOMAS STANGL und SASCHA REH.

KATHARINA WINKLER eröffnete mit ihrem Statement das Gespräch. Ihr geht es um den Zustand der radikalen Reise, durch die die Lesenden aus dem Gewohnten hervortreten müssen. Winkler dringt in ihrem Werk „Blauschmuck“ ganz tief in eine andere Kultur ein. Die Reise im Buch ist eine durch eine fremde Lebenswelt, eine von innen heraus.

Für THOMAS STANGL besteht Reisen aus drei Aspekten: Langeweile, Verstörung und Wunder; und ist auch immer mit der Frage „What am I doing here?“ verbunden. Langeweile brauche es, damit der Körper wieder spürbar wird, und dies sei die Voraussetzung für das Erkennen eines Wunders. Seine Eindrücke auf dem Weg hält Stangl in Notizen und Fotos fest. Erst später kommen die teilweise auch fiktiven und imaginierten Details dazu.

Für SASCHA REH hat das Reisen mit Beziehungen zu tun, was sich auch in seinem Buch „Aurora“ zeigt. Darin sind drei Personen, ausschließlich aufgrund ihrer gesellschaftlichen Funktion zusammengekommen, in einem Panzer gefangen. Die Reise besteht darin, dass sie ihre Beziehungen untereinander unter diesen Umständen bilden, formen und aushandeln müssen.

Zum letzten Gespräch am Samstagnachmittag trafen sich noch einmal alle Autoren, außer dem früher abgereisten Thomas Stangl, im Ensembleproberaum und beschäftigten sich mit folgenden Fragen: Wie gehen die Autor/innen vor beim Schreiben? Wie entdecken sie ihre Geschichten? Und wie läuft der Schreibprozess ab; genau geplant, oder doch spontan?

Die Antworten fielen ganz unterschiedlich aus. Andreas Altmann, als Einziger reiner Reisreporter, muss raus in die Welt. Dort findet er seine Geschichten, ohne etwas erfinden zu müssen. Katharina Winklers nächster Roman soll eine Geschichte mit politischer Verantwortung sein, mehr wollte sie aber noch nicht verraten. Ohne klare Intention notierte sich Manuela Di Franco ihre Erlebnisse auf ihrer Reise durch den Balkan, den Iran, Pakistan und Indien bis nach Nepal. Das Aufgeschriebene, ergänzt mit Fiktivem, verarbeitete sie jedoch erst viel später in ihrem Roman „Der Himmel ist grün“. Ob Stefan Moster vorausplant oder einfach drauflosschreibt? Das hänge vom Projekt ab, aber er wisse, dass er Schriftsteller sei, weil manchmal etwas aus ihm herauskomme, das eineinhalb Stunden zuvor noch nicht in ihm gewesen sei. Vor allem geht es ihm darum, seinen Figuren gerecht zu werden, ihnen ihre Würde zu erhalten. Tina Uebel beschreibt sich selbst als multiple Persönlichkeit. Ihre Geschichten entstehen aus der Sprache heraus und ihre Protagonisten haben ein Eigenleben. Wichtig ist die Leidenschaft, sagt sie. Sie schreibt für die Geschichte, nicht unbedingt für die Leser/innen. Tim Krohn will in seinen Büchern Welten schaffen, in denen sich Menschen bewegen können. Um profunde Geschichten entstehen zu lassen, brauche man erstens eine Welt, die man gut kennt. Dann natürlich Figuren und ein Thema, von dem sich die Figuren treiben lassen. Und, zuletzt, Musikalität. Also Klänge, Farben, Rhythmik und Dialoge. Martin Amanshauser erzählte lachend von seinem einmaligen Glück, als ihm die Idee und die Struktur für ein ganzes Buch, wie in einer Eingebung, in den Sinn kam. Sonst gehöre er mehr dem Typ Autor an, bei dem der Plan im Laufe des Schreibprozesses Form annimmt. Sascha Reh hat keine bestimmten Rituale. Bei ihm gehöre das Planen genauso dazu wie das Zulassen der eigenständigen Entwicklung der Geschichte.

Am Abend fand die abschließende Lesung im ORF Tirol mit ANDREAS ALTMANN, MARTIN AMANSHAUER, MANUEALA DI FRANCO, TIM KROHN und TINA UEBEL statt. Andreas Altmann las aus seinem Buch „In Mexiko. Reise durch ein hitziges Land“ und zeigte, wie er selbst allein im Hotelzimmer die Brutalität des Landes nicht ausklammern konnte. Martin Amanshauser amüsierte das Publikum mit einer überraschenden Gesangseinlage. Manuela Di Franco las aus ihrem Buch „Der Himmel ist grün“, wodurch das Publikum einen kleinen Eindruck von dem gewann, was sie alles Spannendes auf ihrer außergewöhnlichen Reise erlebte. Tim Krohn nahm das Publikum mit einem Text aus seinem Buch „Nachts in Vals“ mit auf die Reise des Trompeters Valentin, in der dieser seine Musikalität wiederentdeckt. Tina Uebel, unterwegs in den ausgefallensten Gebieten der Welt, ließ die Zuhörer/innen an diesem Abend für eine kurze Zeit teilhaben an ihren Abenteuern und machte dadurch Lust auf mehr.

Am Ende unsere Reise bleibt vieles offen, ungeklärt, oder nur angedacht. Meinungen wurden ausgetauscht, vielleicht verändert, aber auf jeden Fall wurde zum Denken angeregt. Und ist es nicht genau das, was das Reisen ausmacht, worum es geht, wenn man sich auf den Weg macht?

Teresa Wolf, im Mai 2019

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