HÖLZCHEN

Wer schaut da? Wessen Blick nimmt die Kamera ein, hält und lenkt, was ich sehe, und wie?

Wer spricht da? Wessen Stimme klingt in mir, bis ich - lesend - mich selbst höre - höre, sehe, rieche und ahne, was ich da lese? und wie?

Ein Hölzchen in dieses Meer geworfen: Der Stoff bestimmt die Stofflichkeit - seine Natur, den Körper, seine Form. Woran liegt es? Bleibt's geheim? Der eine Stoff wird zum Film, der andre zur Prosa, und nur schon diese beiden unterschiedlichen Naturen bilden zahllose einmalige Körper aus; grob vergleichbar sind nur die Genres - "ist es eine Komödie? ist es eine Tragödie?“ - „ist es eine Screwball Comedy? ist es ein Horrorfilm?“ - „ist es ein Tatsachenroman? ist es ein Kinderbuch?“ - „ist es Lyrik? ist es ein Experimentalfilm?“ - „ist es eine Oper? ist es ein Oratorium?“ - „ist es ein Tanztheater? ist es ein Puppenspiel?“ - „ists eine Plastik? oder eine Aktion?“

Es ist zuallererst Ausdruck, also: Stofflichkeit. Aber greift nicht alles noch so umsichtige Vergleichen und Schubladisieren zu kurz, da wir doch vom jeweiligen, einzigartigen Werk ausgehen müssen? Mir ist, als ließen sich diese Pferde nur von hinten aufzäumen. (Dreyer. Bresson. Pasolini. Rivette. Sautet. Duras. Terence Davies. Terrence Malick. Haneke. Hausner. Almodovar. Lars von Trier. Claire Denis. Todd Solondz. Dumont. Chantal Akerman. Robert Altman. Tarkowski. Chabrol. Weerasethakul. Annie Proulx. Agota Kristof. Robert Walser. Kronauer. Bachmann. Haushofer. Jelinek. Handke. Highsmith. Koltès.) Ein jedes Buch, ein jeder Film zerfällt schließlich in seine ureigenen, wechselwirksamen Formen, Strukturen und Gesetzmäßigkeiten. Ein jedes solches Konstrukt läßt sich - manches unerschöpflich, gar unaussprechlich! - für sich betrachten und analysieren ( - oder nicht - ). Lassen sich aber verbindliche Schlüsse draus ziehen? Ich habe meinen Glauben an die Schulen des Schreibens und Sehens und Drehens noch nicht gefunden. Die ...oft modischen... Regelwerke machen mich mißtrauisch. B r ü c h e machen mich eigentlich froh.

Noch so ein Hölzchen: Das Erzählkino allein kann uns so wenig genügen wie das Geschichtenerzählen in der Literatur; zu komplex ist die Wirklichkeit, die wir im Schreiben und Lesen wie im Kino drehen und wenden. (Denken wir nur an Alexander Kluge. An die kostbaren, aufregenden Werke von Straub- Huillet. Ans zermürbende Assoziationsgestöber des späten Godard. An Ilse Aichinger. An Gert Jonke. An Jörg Steiner. Mayröcker!) Die Narration ist aber der Bringer als Trojanisches Pferd: Sie kann den Boden öffnen mittels abgründiger Metaphern, die so harmlos daherkommen mögen wie der Elefant, der in A Passage to India - dem großartigen Erzählkino des David Lean - ins Wasserbecken steigt und dieses überschwappen läßt - womit das Unaussprechliche gesagt ist.

Die süße Idee vom Geschichtenerzählen wiegt mich jedoch in falscher Sicherheit. Denn Sicherheit ist niemals zu haben, und so ist sie mir fehlend lieber als falsch. Den Geschichten ist stets mit größtem Mißtrauen zu begegnen. Am Ende des Wizard of Oz steht kein allmächtiger Zauberer, sondern ein verlorenes Männchen, dessen Wirklichkeit und deren Wirkmacht sich nichts als einem Mikrophon verdanken. Wir sind in Wahrheit allein.

Händl Klaus

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