Von Twin Peaks nach Bad Fucking

Am 10. November 1990 – es war ein Samstag – ging ich in New York an der Ecke 2nd Avenue / 7th Street nichtsahnend in einen Deli-Laden, um mir ein Sandwich zu kaufen, als plötzlich ein Mann vor mir stehen blieb, mit dem Finger auf mich zeigte, und rief: „This is the man, who killed Laura Palmer!“ Sofort bildete sich eine Menschentraube und alle wollten wissen, ob ich tatsächlich Laura Palmer ermordet hätte. Nach wenigen Minuten konnte ich den Irrtum aufklären und die Menge zerstreute sich wieder. Ich aber ließ mir einen Jason-King-Bart wachsen, um fürderhin in New York unbehelligt meinem Job als Theaterregisseur nachgehen zu können.

Am 10. November 1990 – es war ein Samstag – ging ich in New York an der Ecke 2nd Avenue / 7th Street nichtsahnend in einen Deli-Laden, um mir ein Sandwich zu kaufen, als plötzlich ein Mann vor mir stehen blieb, mit dem Finger auf mich zeigte, und rief: „This is the man, who killed Laura Palmer!“ Sofort bildete sich eine Menschentraube und alle wollten wissen, ob ich tatsächlich Laura Palmer ermordet hätte. Nach wenigen Minuten konnte ich den Irrtum aufklären und die Menge zerstreute sich wieder. Ich aber ließ mir einen Jason-King-Bart wachsen, um fürderhin in New York unbehelligt meinem Job als Theaterregisseur nachgehen zu können.

Der Hintergrund dieser Verwechslung war folgender: Irgendwie hatte ich eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Schauspieler Ray Wise, der im Straßenfeger „Twin Peaks“ den Vater von Laura Palmer spielte und von Anfang an als deren Mörder verdächtigt wurde. Allerdings muss ich dazu anmerken, dass ich damals 35 Jahre alt war, während Ray Wise als Leland Palmer doch einige Jahre älter war als ich.

Das ist aber noch gar nichts, verglichen mit einer Verwechslung, die mich wirklich mitten ins Herz traf, und das kam so: Vor einigen Jahren stand ich am Stephansplatz in Wien für einen Dokumentarfilm vor der Kamera, als eine ältere deutsche Touristin auf mich zukam und fragte: „Entschuldigen Sie, Herr Schell, kann ich bitte ein Autogramm haben?“ Im ersten Moment war ich derartig perplex, dass ich der Dame tatsächlich ein Autogramm gab, wobei ich bis heute nicht weiß, ob ich mit Maximilian Schell oder mit Kurt Palm unterschrieb.

Zurück zu „Twin Peaks“: Wie Millionen andere, war auch ich ein Fan dieser Serie und wartete an diesem 10. November 1990 gespannt auf die Ausstrahlung der letzten Folge, in der das Geheimnis um Laura Palmers Mörder enthüllt werden sollte. Dass am Ende nicht Leland Palmer, sondern Bob, der als Inkarnation des Bösen von Leland Palmer Besitz ergriffen hatte, als Mörder entlarvt wurde, passte irgendwie zum Geist dieser Serie, die in ihrer Mischung aus Drama, Mystery, Horror, Krimi und Seifenoper alles enthielt, was eine gute Serie enthalten sollte. Das war auch der Grund, weshalb ich mir nach „Twin Peaks“ keine der folgenden gefühlten 5.000 Serien mehr angesehen habe. Wer „Twin Peaks“ gesehen hat, hat in punkto Serien alles gesehen, was dieses Genre zu bieten hat. Außerdem können David Lynch und Mark Frost für sich in Anspruch nehmen, den schönsten Eröffnungssatz einer Serie geschrieben zu haben, der da lautet: „Gone fishing.“

Die Fische waren es letztendlich auch, die mich Mitte der 90er-Jahre zum Konzept für eine sechsteilige Serie für den ORF inspiriert haben, die allerdings nie gedreht wurde, weil den Verantwortlichen im ORF schon alleine der Titel zu gewagt erschien: „Bad Fucking“. Den Vorschlag des zuständigen Redakteurs, Fucking durch Fugging mit zwei g zu ersetzen lehnte ich natürlich ab, weil dadurch der Titel keinen Sinn mehr gehabt hätte. Aber sagen Sie das einmal einem ORF-Redakteur. Dass im vergangenen Jahr der Gemeinderat von Tarsdorf beschloss, den Ortsteil Fucking in Fugging mit zwei g umzubenennen, um in Zukunft den Diebstahl der entsprechenden Ortstafeln zu verhindern, entbehrt vor diesem Hintergrund nicht einer gewissen Ironie.

Der Stoff wanderte also in meine Schublade und als mich viele Jahre später der Residenz Verlag fragte, ob ich nicht Lust hätte, eine Biographie über Franz Grillparzer zu schreiben, wozu ich aber keine Lust hatte, fiel mir ein, dass es da ja noch dieses Konzept für „Bad Fucking“ gab. Also bot ich dem Verlag an, aus dem Serienstoff einen Roman zu machen, der dann im März 2010 auch tatsächlich erschien.

„Twin Peaks“-Expertinnen und -Experten werden in meinem Roman natürlich zahlreiche Anspielungen auf diese us-amerikanische Serie finden. Dass Sandra Redmont, die Trainerin der Cheerleader, die in Bad Fucking ihr Trainingslager aufgeschlagen haben, zum Beispiel aus Winesburg, Ohio, stammt ist ein Hinweis auf den gleichnamigen Roman von Sherwood Anderson, der seinerseits wiederum David Lynch und Mark Frost als Anregung für ihre Serie diente. Der Name des Zahnarztes von Bad Fucking, Dr. Jakob, ist wiederum eine Hommage an den Psychiater Dr. Jacoby aus „Twin Peaks“. Und während in „Twin Peaks“ Pete Martell auf Forellen und Lachse angelt, bereitet sich in „Bad Fucking“ der Ortsgendarm Julius Wellisch auf die Ankunft der Aale vor.

Am meisten gefreut hat mich aber, dass Regisseur Harald Sicheritz das Buch für das Kino verfilmt hat und der ORF dieses Projekt nicht nur finanziell unterstützte, sondern den Film auch regelmäßig im Fernsehen zeigt, wodurch sich wieder ein Kreis geschlossen hat. Als Serie hat es „Bad Fucking“ nicht ins Fernsehen geschafft, dafür als Film über den Umweg Literatur auf die große Leinwand und von dort dann doch wieder ins Fernsehen.

Und wahrscheinlich ist alles nur dem Zufall zu verdanken, dass ich mir am 10. November 1990 in New York ein Sandwich kaufen wollte. Aber wie heißt es so schön bei James Salter: „Es ist immer ein Zufall, der uns rettet.“

Kurt Palm

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