Rot, Gelb und Blau – und ein graues Strickkostüm

Ich bin versucht zu sagen: Gäbe es keine Bilder, gäbe es meine Texte nicht. Und: Vom Schauen, vom Malen, vom Sprechen über Bilder habe ich das Schreiben gelernt.

Erzählen ist für mich ein Sich-vorwärts-Hangeln, nicht fließend, sondern Bild-für-Bild, mit knappen schwarzen Pausen dazwischen, wie bei einem Diavortrag.

Ein Bild ist ein Ausschnitt der Welt, der einerseits um seine Begrenzung weiß – der andererseits auch dazu verführt, dieses Bild mit der Welt zu verwechseln. Also wohnt jedem Blatt Papier diese kräftige Möglichkeit inne, nämlich Welt zu sein (und nicht bloß ein Abklatsch der Wirklichkeit) – oder, darüber hinaus, mehr zu sein als das Hier-und-Jetzt, sprich: das andere, das Utopische, das im Traum Erdachte, wie es ja auch von den Künstlerinnen und Künstlern gemalt worden ist seit jeher, voll von Mischwesen zwischen Himmel und Hölle, wie bei Hieronymus Bosch, oder ganz leergeräumt wie ein monochromes Gemälde von, sagen wir, dem Farbfeldmaler Barnett Newman. Der Ausgangspunkt für mein Schreiben sind einerseits diese Bilder: aus dem Museum, aus dem Bauschuttcontainer, der vor dem Haus steht und den Müll unserer Tage sammelt, aus dem Internet, dieser noch jungen Bildererzeugungs- und Bildverbreitungsmaschine.

Bilder lesen zu lernen, am besten noch vor dem morgendlichen Zähneputzen, halte ich für eine der gesellschaftspolitisch-ästhetischen Aufgaben unserer Gegenwart (wo das Bild zwischen Dokument und Fake, eilig verbreitet, immer sofort Alarm schlägt). Wer hat Angst vor Rot, Gelb und Blau, heißt übrigens eine Bilderserie von Barnett Newman aus dem Jahr 1966.

Bilder lesen zu lernen, hieße, das, was man sehen kann, möglichst genau beschreiben zu können, und dabei Kenntnis über das Material zu erlangen, die Verarbeitung, seine Herkunft und Quelle. Keine Angst vor Rot, Gelb und Blau. Es hieße auch, die Macht (Überzeugungskraft) des Bildes nicht zu unterschätzen – und eine grundlegende Skepsis gegen seine Suggestionskraft zu hegen (sich seiner Illusion nicht ganz hinzugeben). Im Weiteren hieße das: das Bild nicht als bunten Klecks im Text zu missbrauchen, und der Sprache (dem Wort) als schriftstellerischem Werkzeug zu vertrauen. Scheu und berechtigte Angst vor Rot, Gelb und Blau, diesem mehr und mehr besoffenen Streitgespräch zu nächtlicher Stunde.

...Dann aber, nach Mitternacht, wieder her mit der Übertreibung, her mit dem Zuviel! Auf die Bilder nicht verzichten wollen, alles voll mit Bildern pflastern, der Askese ein »You talk like you were writing one of your stupid papers« zurufen (im grauen Strickkostüm und mit der Perücke von Elizabeth Taylor).

Teresa Präauer

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