Ein Bild vom Wort gemacht

„Im Anfang war das Wort“, heißt es, und „du sollst dir kein Bild(nis) machen“. Ersteres kann stimmen, muss aber nicht. Wer kann es wissen?

An das Zweitere halte ich mich nicht. Etwas in mir macht sich automatisch ein Bild – vor allem von Wörtern, Silben und Buchstaben. Dabei stütze ich mich vorsichtshalber auf die konträre Botschaft „mach dir doch selbst ein Bild!“

Sehe ich ein Wort, denke ich daran, was aus ihm sonst noch hätte werden können. Durch das Verdrehen seiner Bestandteile, durch Anfügen, Hineinflicken oder Weglassen.

SchriftstellerInnen wären – wenn sie für die kreative Arbeit flüssige Unterstützung brauchen – HektoLiteraten. Oder – wenn ihnen selber nichts einfällt – SchriftStehler. Der Übergang zwischen bildender Kunst und Literatur bekäme eine SchnittsDelle. Ein Bild, das den Text vernichtet, würde zur KIllustration, für die ich keine BildHaftung übernähme.

Für einen Alltagsjournalisten wie mich gibt es kein Wort ohne Bild – beim Fotografieren denke ich an den Text, beim Tippen an ein möglichst passendes Bild. Text und Ablichtung sind in meiner Welt untrennbar verbunden.

JournalistInnen sollen eine komplette und manchmal komplexe Geschichte möglichst kurz erzählen können. Schon im Vorspann, möglichst im Titel, soll alles gesagt sein. Das macht eine Zeitung vor, die ausgerechnet den Namen „Bild“ trägt: „Wir sind Papst!“ In Berlin arbeiten sie mit JournaList!

Bilder und Fotos sollen aussagekräftig ein. Wie Munchs „Der Schrei“ oder preisgekrönte Kriegsbilder. Und dann wird in der Journalismus-Praxis verlangt, der Fototext solle über das Bild führen – also dem Menschen das Phantasieren und die Vorstellung abnehmen. „Mach dir selbst kein Bild“, oder was?

Anders verhält es sich mit der im Boulevard offenbar unverzichtbaren „Nackten auf Seite 7“ – da beschreibt der Bildtext nicht Details der Abgelichteten, sondern erzählt eine oft an den Haaren herbeigezogene Geschichte. Da ist offenbar schon genug zu sehen...

„Kürzen“ ist im Journalismus ein zwiespältiges Schlagwort. Eine schöne Geschichte verstümmeln müssen, weil anderes wichtiger genommen wird, ist eine kleine Niederlage. Nichts zu spüren von einer Kür-zung, das ist reine Pflicht.

Kürzen kann aber auch zur positiven Herausforderung werden. Am Ende bleibt dabei ein einziges Wort übrig. Das ist meine Passion. Der Schreiber wird zum VerDichter.

Wenn ich ergriffen lese, wie wortgewandt Daniel Kehlmann am Beginn von „Die Vermessung der Welt“ die Nöte und Zustände des Mathematikers Gauss schildert, der auf Humboldts Drängen zum Kongress nach Berlin fahren muss, spüre ich die Begrenztheit des zum Einzelwort eingekochten Textes. Gut, dass Literatur und das Wort-Bild nebeneinander in derselben Welt existieren können.

Wilfried Schatz

Worttafeln

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