Portrait Tanja Maltjartschuk
Foto: Michael Schwarz

Tanja Maljartschuk

1983 in Iwano-Frankiwsk, Ukraine, geboren, studierte Philologie an der Universität Iwano-Frankiwsk und arbeitete nach dem Studium als Journalistin in Kiew. 2009 erschien auf Deutsch ihr Erzählband Neunprozentiger Haushaltsessig, 2013 ihr Roman Biografie eines zufälligen Wunders und 2014 Von Hasen und anderen Europäern. 2018 erhielt sie für den Text Frösche im Meer in Klagenfurt den Ingeborg-Bachmann-Preis. Die Autorin schreibt regelmäßig Kolumnen für die Deutsche Welle (Ukraine) und für Zeit Online und lebt seit 2011 in Wien. Zuletzt erschienen: Blauwal der Erinnerung, Kiepenheuer & Witsch 2019.

Angeblich sahen die Gemälde der großen Renaissancemaler kurz nach der Fertigstellung ganz anders aus als heute. Der Ruß der Kerzen, der sich jahrhundertelang – bis zur Erfindung des elektrischen Lichts – auf ihrer Oberfläche abgelagert hat, lässt sich weder abwischen noch anders entfernen, deshalb wird kein Museumsbesucher je die ursprünglichen Farben zu Gesicht bekommen. Man kann nur raten, welches Farbspektrum sich unter der Rußschicht verbirgt. Die Vergangenheit ist bloß ein Erraten des Vergangenen. Der Ruß, der große Zeitabschnitte lückenlos überdeckt, entspricht den historischen Umständen, und die Realität ist das, was trotz allem an die Oberfläche kommt. Das muss nicht unbedingt das wichtigste Detail des gesamten Bildes sein, sondern eine winzige, völlig belanglose Kleinigkeit, die man beim Blick auf das Ganze nicht wahrgenommen hätte.

Aus: Blauwal der Erinnerung. Kiepenheuer & Witsch 2019




© 2003-2022 Innsbrucker Wochenendgespräche - E-Mail - Impressum - Datenschutz

Facebook logo with link