Portrait Hanno Millesi
Foto: Stefan Sandner

Hanno Millesi

geb. 1966 in Wien, Studium an der Universität Wien und an der Hochschule für angewandte Kunst; in den 90er-Jahren Assistent von Hermann Nitsch und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Museums moderner Kunst in Wien; Reinhard-Priessnitz-Preis 2017. In der Edition Atelier zuletzt erschienen: Der Charme der langen Wege. Roman (2021), Die vier Weltteile. Roman (2018), Der Schmetterlingstrieb. Roman (2016), Venusatmosphäre. Novelle (2015).

Wie jemand, der einen Raum voller Leute betritt, erst einmal auf denjenigen zugeht, den er kennt, steuerte ich zunächst die Madonna an, über die ich den Kindern und, wenn Wanda es denn hätte hören wollen, auch ihr das eine oder andere Wort zu sagen gewusst hätte. Ein Kreischen Konrads brachte mich jedoch dazu, stehen zu bleiben und mich nach ihm umzusehen. Der Knirps stand kreidebleich vor der Darstellung einer eleganten Frau, die sich gemeinsam mit einem nun wirklich beängstigend aussehenden Ungeheuer in einer Grube befand, aus der es ohne fremde Hilfe kaum ein Entrinnen für sie gab. 

„Das ist die Heilige Margarethe“, sagte Wanda, nachdem sie mit fadenscheiniger Gelassenheit auf dem Täfelchen nachgesehen hatte, einmal mehr im Glauben, Bildung mache Schrecken zur Gänze überflüssig. Die blau gekleidete Frau war jedoch gar nicht das Problem (Denk einfach mal nach, Wanda!), sondern der schlangenartige Drache, der Riesenwurm, der sein Maul weit aufgerissen und uns zugewandt hatte, sodass wir tief in seinen Schlund sehen konnten, sehen mussten wie in einen Tunnel ohne einen Funken Licht an seinem Ende.

Aus: Die vier Weltteile. Edition Atelier 2018




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