Herkunft

Letzte Woche sah ich auf Facebook eine Werbe-Anzeige, die ich leider nicht mehr finde. Es stand dort so etwas wie: Bist du es leid, immer nach deiner Herkunft gefragt zu werden? Lerne endlich akzentfrei zu sprechen. Ich finde es ziemlich beleidigend, dass Facebook mir unterstellt, ich habe einen Akzent, aber wenn ich deutsch rede, fragen mich die Leute tatsächlich „Wo kommst du eigentlich her?“.

Wenn ich antworte, ich komme aus Italien, denken die meisten an idyllische Landschaften am Meer – und die Erwartungen muss ich dann enttäuschen, wenn ich präzisiere, ich komme aus Bozen. Aber du hast eigentlich keinen Akzent, urteilen sie dann. Sie meinen: keinen südtirolerischen Akzent, aber ich sehe es doch, dass sie verwirrt sind, weil ich doch nicht wie Messner spreche. Weil ich halt Italienerin bin, versuche ich dann – meist genervt – zu erklären. Aber ich dachte, du kommst aus Südtirol. „Ab wann fängt eigentlich Italien an und wo endet Südtirol?“, hat mich neulich einer gefragt. Und den deutschen Namen hast du also von deinem Mann? Und so weiter und so fort.

So viel nur, um zu sagen: Herkunft ist nicht leicht zu erklären. Oder besser: Herkunft von Menschen ist nicht leicht zu erklären. Bei der Herkunft von Wörtern ist es meistens nicht so. Ich liebe es, die Geschichte der Wörter zu rekonstruieren, ich habe das Gefühl, sie dann besser zu verstehen. Für mich ist es wichtig, die Wörter zu verstehen. Weil ich eben aus Südtirol komme. Und das hat natürlich etwas mit mir gemacht. Und zwar habe ich eine sprachliche Unsicherheit entwickelt, die ich durchs Studium verfeinert habe. Ist ja klar: Ich bin in einem deutsch-ladinisch-italienischen Ort aufgewachsen, ohne Deutsch und Ladinisch zu verstehen. Deswegen faszinieren mich Wörter. Weil ich sie nicht verstehe. Die Etymologie von Herkunft (ja, es ist tautologisch, aber trotzdem) scheint seit dem 16. Jahrhundert belegt zu sein. Von herkommen, das im Deutschen in verschiedene Richtungen gehen kann. Ich komme aus Bozen. Aber auch: Komm mal her!

Maddalena Fingerle

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