Herkunft
Eines der wiederkehrenden Themen in der Literatur ist mit Abstand die eigene Herkunft. An ihr führt im Schreiben früher oder später meist kein Weg vorbei. Die Kindheit als großer Bottich und Schmelztiegel all dessen, was beinahe ungefiltert in uns eindringt, ist der Nährboden für vieles, was später in verfremdeter Form als Kunst und Literatur hinausdrängt.
So ist auch für mich und mein Schreiben die eigene Herkunft eines der Motive, an denen ich mich reibe, abarbeite, teilweise auch aufbaue.
Sehr früh schon fühlte ich mich fremd am Platz meines Aufwachsens. Das eigene Zuhause war nicht nur zu eng für ein neugieriges, sensibles Kind, wie ich es war, es war auch geprägt von Fremdbestimmung und subtiler Gewalt. Zudem zweigeteilt: auf der einen Seite das dürftige Private, dem wenig Spielraum zugestanden wurde, auf der anderen Seite der große Raum eines Gastbetriebes, der den Fremden offenstand, die neben unserem bescheidenen Dasein Urlaub machten. Als Mädchen hieß das für mich vor allem Selbstverleugnung bis hin zur Selbstaufgabe. Erfolglos habe ich versucht, ein Da-Sein für mich zu finden. Diese Suche und Zerrissenheit zwischen Selbstbehauptung und Fügung spielen in meinem Leben und schriftstellerischen Arbeiten eine wesentliche Rolle. Herkunft bedeutet für mich auch immer etwas Gespaltenes, nie etwas Eindeutiges, Klares. Diese Spaltung ging mitten durch mein Heranwachsen, meine Familie, unser Haus und letztlich sogar durch meine Entscheidungen. Auch mitten durch meinen Namen und mitunter durch meinen Körper.
Die Literatur und später das Schreiben waren und sind für mich auch Ersatz und Notwendigkeit für ein fehlendes Heimatgefühl, ein ewiges inneres Exil. Schriftstellerin zu sein bedeutet in meinem Fall eine Gratwanderung zwischen zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Frei nach Adorno: Gibt es ein richtiges Leben im falschen?
„Ich selbst bin in keinem Dorf groß geworden. Zwischen den Dörfern gibt es oft weite Flächen, die ein Niemandsland sind und sich nicht so einfach zuordnen lassen. Es besteht zwar die Möglichkeit, sich an das Katasteramt zu wenden und auf den Raumordnungsplänen nach einer Lösung zu suchen. Aber selbst dann findet man nicht das, womit man zufrieden wäre. Man hat nichts Eindeutiges, nichts Klares, nichts von dieser Zugehörigkeit zu einem dieser zusammengetragenen Haufen. Es bleibt ein Niemandsland, und man kann höchstens scherzhaft tun und ihm den Namen Sibirien geben, so wie ich es getan habe.“
Aus: Kopfüber an einem Baum, Skarabaeus/Haymon, 2003, einer meiner ersten Texte, die ich geschrieben habe.
Anne Marie Pircher