Rolf Lappert
1958 in Zürich geboren, lebt, nach Jahren im Ausland, wieder in der Schweiz. Ausgebildeter Grafiker, Mitbegründer eines Jazzclubs, von 1996 bis 2004 Drehbuchautor. Bei Hanser erschienen die Romane Nach Hause schwimmen (2008), ausgezeichnet mit dem Schweizer Buchpreis, Auf den Inseln des letzten Lichts (2010), Über den Winter (2015) und Leben ist ein unregelmäßiges Verb (2020) sowie der Jugendroman Pampa Blues (2012).
Niemand hatte etwas von seinem frühmorgendlichen Ausflug mitbekommen. Er ging leise die Treppe hoch in sein Zimmer, zog den Schlafanzug noch einmal an und legte sich ins Bett, bis Paul die Badezimmertür zuschlug und von der Mutter zurechtgewiesen wurde. Er blieb liegen und lauschte auf die Schritte seines Vaters, der auf dem Dachboden im Kreis umherzugehen schien. Etwas später klopfte es an seine Tür, und seine Mutter rief ihn. Er wusch sich und zog sich an, dann ging er hinunter, wo es nach Kaffee roch und außer Paul alle mit großer Routine heile Familie spielten. Sogar Bille gab sich friedlich und wortkarg, trank ihre heiße Schokolade, aß ihr Honigbrot und hob sich Widerworte, provozierende Fragen und giftige Blicke für später auf. Alles schien in bester Ordnung zu sein. An Tagen wie diesem hätte ein ahnungsloser Besucher den Eindruck gewonnen, bei den Salms handle es sich um eine in sich gekehrte, leicht schlaftrunkene, gleichwohl aber normale, vielleicht sogar glückliche Familie, die eben lieber klassische Musik aus dem Radio hörte, als sich zu unterhalten.
Aus: Über den Winter, Hanser 2015