Heike Geißler

Geboren 1977 in Riesa, Autorin, Übersetzerin, Mitherausgeberin der Heftreihe Lücken kann man lesen; mit der Schauspielerin Charlotte Puder bildet sie das Kunstkollektiv George Bele. Zuletzt erschienen: Saisonarbeit (2014), Liegen (2022), Die Woche. Roman (2022) sowie die Essays Verzweiflungen (2025) und Arbeiten (2025).

Eventuell kommt Ihnen allein diese Fahrt zu Amazon, von der Sie noch nicht wissen, ob sie von Erfolg, also von einem befristeten Arbeitsvertrag, gekrönt sein wird, wie der Beginn oder Beleg eines sozialen Abstiegs vor. Sie werden immer wieder versuchen, es anders zu sehen, aber schon der Anfang zwingt Sie in die Knie und eine Schicht tiefer und so wird es bleiben. Ja, Sie werden Schichten sehen, falls Sie das nicht vorher schon taten. Sie werden die Schichten dermaßen deutlich vor sich sehen wie Geologen den Aufbau des Bodens, aus dem sie eine tiefe Grube aushoben. Wenn Sie genau überlegen, kommen Sie manchmal zu dem Schluss, dass der soziale Abstieg nur etwas behelfsmäßig das bezeichnet, was eher ein sich verfestigt habender Mangel an Möglichkeiten und Weitsicht ist. Es wird also so sein: Sie bekommen diesen Job und freuen sich, und dann werden Sie müde sein, werden jeden Tag Ihre Augen kaum noch offen halten können, Ihnen wird die Kraft für alles Vergnügliche oder schlicht für alles fehlen und Sie werden sehr viel mehr über Ihr Leben und das Ihrer Eltern und all derer wissen, die Vorgesetzte haben. Sie haben ja normalerweise keinen Chef, keine Chefin. Sie werden bald etwas über das Leben wissen, das Sie vorher nicht wussten, und es wird nicht nur mit der Arbeit zu tun haben, sondern auch damit, dass Sie älter werden, dass Ihnen jeden Morgen zwei Kinder hinterherweinen, Sie mögen doch nicht zu dieser Arbeit gehen, und damit, dass mit dieser Arbeit und vielen Sorten Arbeit grundsätzlich etwas faul ist.

Aus: Saisonarbeit, Spector Books 2014

Portrait Heike Geißler

Foto: Cihan Çakmak