Von prekären Strukturen und widerständigem Potenzial
Gedanken zu den 47. Innsbrucker Wochenendgesprächen
„Arbeit“ als Thema der Innsbrucker Wochenendgespräche: Das war durchaus in einem umfassenden Sinn zu verstehen, als „Arbeiten“, „Schaffen“, „Tätigsein“, aber auch als „Berufsausübung“, „Erwerbstätigkeit“, „Arbeitsplatz“ – so die gängigen Definitionen aus dem Wörterbuch, das mit „Mühe“, „Anstrengung“, „Beschwerlichkeit“, „Plage“ eine weitere Bedeutungsebene bereithält.
Und weil die Wochenendgespräche eine literarische Veranstaltung sind, lag es auf der Hand, dass all diese Bedeutungen mit dem Zusatz „literarisch“ schnell ins Zentrum dessen führen würden, was die geladenen Autor:innen in einem engeren Sinn tagtäglich umtreibt und beschäftigt. Jede Menge Gesprächsstoff also für ein langes Wochenende.
Den Auftakt machte wie immer die Vorstellung der Teilnehmer:innen im ORF Studio 3 – eigentlich ein „Lesemarathon“ (10 Autor:innen!), der jedoch aufgrund der Kürze der Lesungen bereits nach 90 Minuten durchs Ziel ging. Die je fünf bis sieben Minuten Lesezeit mit knappen Anmoderationen erfüllten ihren Zweck und gaben einen spannenden Einblick in die verschiedenen Zugänge zum Thema, in die individuellen Schreib- und Vortragsstile. Und machten offenbar neugierig genug, die Veranstaltung auch am Freitag und Samstag zu besuchen.
The same procedure as every year: Am bewährten Ablauf der Diskussionen im Tiroler Landestheater hat sich nichts geändert und so gab es auch dieses Jahr Gespräche in Dreiergruppen und eine Schlussrunde am Samstagnachmittag. Bestens vorbereitet, belesen, zugewandt und eloquent moderiert von Birgit Birnbacher, die bereits letztes Jahr zum Thema „Familie“ mitdiskutierte und heuer demonstrierte, auf welch hohem Niveau man diskutieren und wie nahbar und allgemein verständlich man dabei bleiben kann.
Vieles von dem, was zur Sprache kam, ist auch in den Büchern der Autor:innen in der einen oder anderen Form nachzulesen. Vieles aber entsteht erst in der Diskussion, im Austausch mit den Kolleg:innen, und es war auch heuer wieder schön zuzuhören, wie die Gespräche ausgehend von den vorbereiteten Statements in diverse Richtungen sich entwickelten, wie die Autor:innen sich von der Moderatorin auch Persönliches entlocken ließen und wie die Diskussion bei allen Abschweifungen immer wieder zum Spezifischen der literarischen Arbeit zurückfand.
Zufriedene Zuhörer:innen also auch in diesem Jahr. Und viele Anregungen zum Weiterdenken und Weiterlesen – wenn man gesehen hat, wie eifrig der bestens sortierte Büchertisch in Anspruch genommen wurde, ist auch dafür auf längere Zeit gesorgt. Und so denke ich mir einmal mehr, dass genau das ja auch eine der Ideen hinter dieser Veranstaltung ist: nicht nur die Autor:innen miteinander ins Gespräch zu bringen, sondern auch die Autor:innen mit den Zuhörer:innen bzw. Leser:innen.
Wer die Autor:innen gehört und in lebhafter Diskussion gesehen hat, wer sie in ihrer Offenheit und Authentizität erlebt hat (rund 200 Zuhörer:innen haben in Summe die Gelegenheit wahrgenommen), wird in Hinkunft vielleicht mit anderen Augen lesen: mit einem tieferen Verständnis für das Gelesene, mit einem geschärften Blick auch für die Bedingungen der Produktion und Verbreitung von Literatur.
Und mit dem Wissen, wie schnell literarische Arbeit in den Bereich des Prekären führt, schon gar, wenn es um weibliche Arbeitsrealitäten geht; und dass die gesellschaftlichen Strukturen nicht so beschaffen sind, die Bedingungen zu verbessern, sondern im Gegenteil ein Interesse daran besteht, den Status quo aufrechtzuerhalten. Aber auch mit der Gewissheit, dass die Literatur wiederum das Potenzial hat, dieser Macht des Faktischen etwas entgegenzusetzen; schöpft sie doch aus einem nie versiegenden Reservoir des Widerständigen und Utopischen.
Auch davon haben die 47. Innsbrucker Wochenendgespräche ein kräftiges, tröstliches, Mut machendes Lebenszeichen gegeben.
Joe Rabl, im Mai 2025