Práci česť
„Práci česť“, der Gruß meiner Kindheit – „Ehre die Arbeit“, sagte man in der sozialistischen Tschechoslowakei, in der ich aufwuchs, statt „Guten Tag“ oder „Auf Wiedersehen“. Diese Worte haben sich tief in mich eingebrannt.
Der Grundsatz des Systems, das damals in meinem Land herrschte, war, dass alle Bürger zusammenarbeiten, um die Gesellschaft zu tragen und zu verbessern. Man ging davon aus, dass es in unserer Natur als Menschen liege, uns in Gemeinschaften zusammenzuschließen und unseren Teil zu diesen beizutragen. Dass es eine Ehre sei, zu arbeiten.
Ich möchte hier das damalige sozialistische Regime nicht verherrlichen -im Gegenteil, dieses oppressive System und seine Folgen waren der Grund, warum meine Familie das Land verließ. Aber ich möchte doch auf ein Element des sozialistischen Gedankenguts hinweisen, das mir bedeutsam erscheint: Nämlich, dass es uns Menschen ein Bedürfnis ist, zu den Gemeinschaften, in denen wir leben, einen Beitrag zu leisten, und dass ALLE Berufe „systemrelevant“ sind. (Ja, auch der Schriftstellerberuf.)
Natürlich hat jeder Mensch Wert, ungeachtet dessen, ob er arbeitet oder nicht. Aber ich glaube auch, dass es eine besondere Art von Selbstwert gibt, den man aus der eigenen Arbeit zieht.
Nachdem wir 1990 nach Österreich gekommen sind, war meine Mutter fünf Jahre lang arbeitslos, weil man ihr keine Arbeitsgenehmigung erteilte, während mein Vater eine hatte und wir Kinder zur Schule gingen. Bis heute erinnere ich mich daran, wie schwer das für sie war, wie isoliert sie war, wie sie mit der Zeit innerlich und äußerlich zu schrumpfen begann. Jemand, der nicht arbeiten kann, obwohl er könnte und möchte, ist vom Leben selbst abgeschnitten.
Auch in meiner Arbeit als Deutsch-als-Fremdsprache-Lehrerin sehe ich keine „arbeitsfaulen Migranten“, ich sehe Menschen, die sich am Erwerb der deutschen Sprache abmühen und auch an der österreichischen Bürokratie, die es ihnen oft schwer macht, zu arbeiten, oder die Diplome und Berufsabschlüsse ihrer Länder anzuerkennen. Ich sehe, wie sie jahrelang im Prozess des Deutschlernens und der Nostrifikation stecken, wie sie den Mut verlieren, sich nutzlos fühlen. Wie ihre anfängliche Motivation schwindet. Und selbst wenn sie schließlich Arbeit bekommen, arbeiten die meisten von ihnen weit unter ihren Qualifikationen. Dabei ist Arbeit der beste Weg zur Integration. Das sah ich auch ganz deutlich bei meiner Mutter, die, nachdem sie zu arbeiten begann, wieder „zu sich kam“, wieder sie selbst wurde.
Auch wenn wir längst wissen, dass es nicht stimmt, dass „Ausländer uns die Arbeitsplätze wegnehmen“, ist dieser Gedanke immer noch in vielen Köpfen der Mehrheitsbevölkerung präsent. Ganz abgesehen davon, dass die österreichische Bevölkerung immer älter wird, und Zuwanderung sich diesbezüglich regulierend auf den Arbeitsmarkt auswirkt, frage ich mich auch, ob die Wortwahl hier nicht gänzlich falsch ist: Ob man vom Begriff „Arbeitsmarkt“ abkommen könnte, der ja irgendwie immer Wettbewerb und Mangel suggeriert, und ihn ersetzen könnte durch einen inklusiveren Begriff, wie zum Beispiel „Arbeitsgemeinschaft“ – ein Wort, das eher nach Zusammenarbeit klingt, und einer Gesellschaft, in der jeder in Würde seinen Beitrag leisten kann. Denn, und das habe ich in meiner Kindheit als Pionierin ganz eindringlich gelernt, wie wir als Gesellschaft über Arbeit denken, ist wichtig. Vergessen wir nicht, dass wir einander brauchen, mehr als wir einander im Weg stehen.
In diesem Sinne – Práci česť.
Susanne Gregor