Arbeit

Ich sitze an meinem Schreibtisch, auf dem Stuhl meiner Großtante, der viel zu niedrig ist. Ich habe ein Sitzerhöhungskissen bestellt, bei Amazon, es rutscht alle paar Minuten nach hinten weg und dann schreibe ich doch wieder mit hochgezogenen Schultern und verspanntem Nacken. Todd Lyons, der Chef der US-Einwanderungsbehörde, wünscht sich Abschiebungen „wie Amazon Prime für Menschen.“ An der Wand neben dem Fenster klebt ein Bild, gemalt von meinem jüngsten Kind. Winzige Vögel sind darauf, mit seltsam steifen Beinen. Einer hat etwas wie einen Hut auf dem Kopf, er schaut mich an. Ich starre eine Weile zurück. Auf dem Schreibtisch Bücher von anderen, Notizen, Rechnungen, die Einverständniserklärung für die Klassenfahrt meiner Mittleren. Und eine Büste von Rosa Luxemburg, mein Sohn hat sie getöpfert. Es geht ein Riss quer über ihre Stirn, das ist beim Brennen passiert. Gegenüber hat jemand eine Leine zwischen die Fenster gespannt, darauf drei identische, schwarze T-Shirts. Auf einem Kleiderbügel ein Wollmantel, triefnass.

Ich öffne das Dokument, tippe ein paar Worte. Lösche sie wieder. Trinke einen Schluck Kaffee. Niemand sieht mich an, denke ich und schreibe es hin, unter dem Versteck meiner Haut, unter diesem stummen Gewand kann ich sein, wer ich will. Mein Blick geht zum Fenster. In diesen Straßen, die ich gut kenne, bewege ich mich frei. Ich gehe langsam, halte die Augen offen. An der Ecke, im Hauseingang, liegt ein Mantel, dunkelgrüne Wolle mit feinen Karos, ich greife danach, schnell, zieh ihn mir über. Niemand hat mich gesehen, niemand schert sich um mich. Draußen fährt ein Lieferwagen rückwärts in die Einfahrt. Das Piepsen sitzt in meinem Kopf, setzt sich dort fort, vermischt sich mit dem Tinnitus. Ich versuche, nicht hinzuhören. Die Welt ist bloß der Schatten von etwas, das wir nicht sehen können. Jetzt wärmt er mich, der Mantel, und ich geh unter ihm dahin. Ein Hut lag daneben, der sitzt schon auf meinem Kopf. Er ist ein bisschen zu klein, er spannt an den Schläfen und über der Stirn, ich spüre, wie mein Gesicht hervortritt. Ich gehe probehalber eine paar Schritte, in Mantel und Hut, bleibe beim Tabakwarenladen stehen, schau in die Auslage, in der Scheibe erscheint meine Gestalt. Ich erkenne mich und die, die vor mir waren.

Es ist Nachmittag. Die Kinder sind aus der Schule zurück. Ich habe Essen gemacht, gespielt, mich über die Hausaufgaben gebeugt, zugehört. Getröstet. Geschimpft. Der Jüngsten das Tablet gegeben, mich an den Schreibtisch geschlichen. Da steht sie schon wieder neben mir, irgendetwas funktioniert nicht. Ich nicke, schicke sie zu ihrer großen Schwester, versuche, zu meinem Gedanken von vorhin zurückzukehren, ihn festzuhalten. Ich nicke und nicke. Die Waschmaschine piept. Ich nicke noch immer. Ich bin hier und bin es nicht. Ich bin bei einem Satz, den es noch nicht gibt.

Es ist eine lange Reihe, die ich nicht abtrennen kann, die an mir vorüber geht.

Was soll es, dann eben die Wäsche.

Der Tod ist vor uns, wie im Schulzimmer an der Wand ein Bild der Alexanderschlacht. Ich lege den Kopf zurück, fahr mir durch den Nacken und unter die Krempe, kratz mich, fühle mein neuerdings kurzes Haar, schön, wie der Schädel darunter steckt. Es geht ein Riss durch meinen Kopf, von dem ich nicht weiß, wie ich ihn kitten kann.

Am Abend, als alle im Bett sind, flicke ich eine Kinderleggings. Ein kleiner Riss unterhalb des linken Knies. Ich greife nach dem Faden, schwarz, zu dick eigentlich, aber er war gerade da. Und, egal: Die Leggings war billig, was anderes kann ich mir momentan nicht leisten. An irgendeinem Punkt, irgendwo, hat sie mehr gekostet. Zu viel, denke ich, viel zu viel, und mache weiter. Unbezahlbar eigentlich diese Primark-Leggings. An all das denke ich nicht zu deutlich. Ich denke es nur so mit. Ich lege die Leggings zusammen, räume sie in den Schrank.

Ich schiebe die Hände in die Manteltaschen und spiele ein Spiel: Was ich dort finde, gehört mir.

Saskia Hennig von Lange