Arbeit

Sie war beschäftigt, den Dachboden des leerstehenden Hauses als Apotheke einzurichten und Töpfchen und Löffelchen zu sammeln, um dann Medizinen und Pasten für die imaginierte Kundschaft herzustellen, als über den Hof der Ruf des Bauern erschallte, nun die Feldarbeit verrichten zu gehen. Sie versteckte sich hinter dem Marillenbaum, um in seinem Schatten Hufflatiche, Löwenzahn und Leberblümchen zu pflücken, vielleicht auch noch ein Ei aus dem Hühnerstall zu stehlen und Backpulver aus der Küchenlade zu organisieren. Da donnerte die gleiche Stimme das Urteil über den Hof, du bist für die Arbeit nicht zu brauchen, du bist für nichts zu brauchen.

Mag sein, dachte sie, verfolgte das Spiel unerbittlich. Die Freude war aber dahin. Der Nachmittag, die Apotheke, die Kundschaft waren nichtsnutziges Spiel. Am Abend nach der Rückkehr vom Feld gehörte sie nicht mehr dazu. Die Arbeit hatte eine Schicksalsgemeinschaft geschlossen, die ihr zu recht verdientes Brot vertilgte. Die Strafe des Ausschlusses mischte sich mit dem schlechten Gewissen, die anderen im Stich gelassen zu haben. Das Kind quälte sich durch die Nacht, überlegte, wie eine Rückkehr möglich wäre. Da krochen die Schwestern heran und fragten, wie war es in der Apotheke? Was hat sich getan? Die Geschichten von den Krankheiten folgten, den Arzneien und die Klage über das kaum zu entziffernde Gekritzel auf den Rezepten. Was war die schlimmste Krankheit gewesen? Und was die beste Medizin? Die Erzählung schuf auch einen Raum für Gemeinschaft und als sie einschliefen und wieder erwachten, kam es zur Neuverteilung der Sympathien. Auf dem Kartoffelacker bückte sie sich und machte mit und fand verwachsene Früchte, die eine andere Verwendung verlangten usw Ich studierte dann Kunst, erst für das Theater dann für den Film. Beide Gebiete versprachen Entfaltung in einer Gemeinschaft. Ich las das Stück, ich schrieb das Drehbuch, unter Einsatz der Ellbogen stieß ich die Kollegen weg, weil ich die Ruhe brauchte, als die Stimme eines Gurus erschallte, diene gefälligst meiner Herrlichkeit (wie jemand zur Herrlichkeit wird, ist auch Arbeit). Es ging nicht.

Nun ist das Schreiben Brot geworden und ich kann Arbeit von Leben nicht trennen. Die Selbstbestimmtheit über die eigenen Arbeitsbedingungen ist da, ich schreibe wann ich will, eigentlich immer, aber sich von einem Urteil von außen unabhängig zu machen, gelingt mir nicht, wenn ich Geld verdienen muss. Das Gefühl von Ich-gehöre-nicht-dazu verlässt mich nicht. Spiele ich nur, oder arbeite ich, wenn ich schreibe, und steht mir Geld dafür zu? Warum nicht mehr?

Ich mixe, verrühre Substanzen. Unterrichte über meine Arbeit. Die Arbeit der Arbeit, die als sozialer Dienst an der Gesellschaft gelten kann. Wie alle Kunst. In die Runde meines letzten Schreibkunstkurses gefragt, was würdet ihr „Arbeit“ nennen? Worum würdet ihr schreiben, müsstet ihr über Arbeit schreiben? Burn out. Hamsterrad. Menschenunwürdiger Druck, weil jeder soziale Zusammenhalt aufgekündigt wird. Ignoranz der Bedürfnisse. Bestrafung für die Kündigung, für das freiwillige Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt. Bestrafungsriten der Gesellschaft durch das Abeitsmarktservice. Ich schaute in die Runde der Schreib-Freiwilligen. Wozu tut man sich diese Mühe an, als arbeitender Mensch auch noch literarisch zu schreiben? Wollt ihr Anerkennung? Selbsterfahrung? Ordnung? Entfaltung? Freiheit? Was versprecht ihr Euch vom Schreiben?

Deine Gemeinschaft, sagten sie. Es verschlug mir die Sprache.

Ich bin nicht genügsam. Dieses Echo auf meine Arbeit reicht dennoch und weil sie noch monetär bezahlt ist, macht sie mich physisch satt. Die Überwindung von Mühe, um mit mir verbunden zu sein, ist Anerkennung auf menschlich sehr hohem Niveau, denke ich. Subjekt unter Subjekten, das sich plötzlich in einer gelungenen Beziehungsarbeit als Teilhaberin erkennen kann. Ich würde lieber eine Spinne halten, die mir das Netz sichtbar macht, wie alles miteinander zusammenhängt, als dass ich Arbeitstier plötzlich dieses Gefühl der Rührung spür, eine Liebe durch meine Arbeit.

Alle meine Heldinnen und Helden gehen Berufen nach. Sie weichen von den Regeln ab, weil ihr Eigensinn es erzwingt. Sie erleben die Bestrafungen der Welt, in der sie stecken, sie wechseln Perspektiven und sogar unnatürliche, juristische Personen kämpfen mit ihrer Kunstsprache um das Gehör, um das Leben, um Gerechtigkeit. Die Arbeitswelt zapfe ich an, um mein Personal in Schwung zu bringen, um auszuscheren und den Karren aus dem Dreck zu ziehen, der sie selber sein können.

Spinne ich die eigene Verstrickung, laufe im Hamsterrad literarischen Schaffens? Diese Frage arbeitet gegen mich, den sie will sagen, zieh dich aus der Patsche, hau alles hin. Soll ich? Kann ich? Ich muss die Freiheit beim Schopf packen. Die Welt ist gestört und man kommt ihr abhanden, doch es gibt Kreise der Gemeinschaften. Es sind heilige Zirkel, kein Spiel, literarische Arbeit befreit uns von der Einsamkeit, die Arbeit machen kann. Und jede Arbeit sollte das tun, gute Beziehungen stiften, darin liegt „unsre“ Zukunft.

Lydia Mischkulnig