Arbeit

Joaquin García war vierzehn Jahre lang technischer Leiter im Umweltamt der südspanischen Stadt Cádiz. Mindestens sechs dieser vierzehn Jahre ist er nicht zur Arbeit erschienen. Und das, ohne dass es seiner Behörde aufgefallen wäre. »Im Rathaus glaubte man, er sei bei den Wasserwerken«, so der ehemals zuständige Stadtrat, »und der Direktor der Wasserwerke wähnte ihn in der Stadtverwaltung.«

Garcías Abwesenheit fiel erst auf, als die Stadtverwaltung von Cádiz ihm einen Orden für langjährige Dienste überreichen wollte. Der stellvertretende Bürgermeister stellte Erkundigungen an und fand heraus, dass man García seit Jahren nicht mehr in seinem Büro gesehen hatte. Nachdem er aufgeflogen war, gab der Beschuldigte an, sich in seiner freien Zeit vor allem der Lektüre gewidmet zu haben. Sein Spezialgebiet sei der jüdische niederländische Philosoph Baruch Spinoza geworden.

Auf die Frage, warum García nicht gekündigt habe, erklärte sein Anwalt, sein Mandant habe schließlich eine Familie zu ernähren. Außerdem habe Joaquin García befürchtet, in seinem Alter keine Arbeit mehr zu finden.

Ich las davon erstmals in Bullshit Jobs, einem Buch des 2020 verstorbenen US- amerikanischen Anthropologen David Graeber, der das von ihm beleuchtete Phänomen so definiert: »Ein Bullshit-Job ist eine Form der bezahlten Anstellung, die so vollkommen sinnlos, unnötig oder gefährlich ist, dass selbst derjenige, der sie ausführt, ihre Existenz nicht rechtfertigen kann, obwohl er sich im Rahmen der Beschäftigungsbedingungen verpflichtet fühlt, so zu tun, als sei dies nicht der Fall.«

Es geht also gerade nicht um Tätigkeiten, die niemand machen will, weil sie anstrengend, schmutzig oder schlecht bezahlt sind, sondern um solche, die eigentlich niemand braucht. Und die oft auffallend gut entlohnt werden – Personalabteilung, mittleres Management, Finanzbranche, Werbeagentur, Marketing, PR. Häufig wird von Betroffenen auch die als quälend sinnlos empfundene Anstellung in der Verwaltung einer Universität, eines Krankenhauses, einer staatlichen Behörde oder eines privaten Unternehmens genannt. Der Bullshit-Job unterscheidet sich damit vom herkömmlichen Shit-Job in der Pflege, bei Paket- oder Lieferdiensten oder in der Gebäudereinigung. Tätigkeiten, die zwar einen hohen gesellschaftlichen Nutzen haben, häufig aber unter schwierigen Bedingungen und bei skandalös schlechter Bezahlung ausgeführt werden müssen. Auch das eine der eigensinnigen Logiken des real existierenden Kapitalismus.

Joaquin García wurde von einem Gericht wegen Betrugs zu einer Geldstrafe von 27.000 Euro verurteilt. Das entsprach seinem Netto-Jahresgehalt und somit dem einklagbaren Höchstbetrag. Er selbst sah sich als Mobbing-Opfer. Seine Vorgesetzten hätten ihn wegen seiner sozialistischen politischen Einstellungen nicht leiden können und ihm absichtlich einen Arbeitsplatz ohne Aufgabe zugeteilt. Diese Situation habe ihn so stark demoralisiert, dass er gezwungen gewesen sei, wegen seiner Depressionen medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen.

»Schließlich«, so Graeber, »sei er mit Zustimmung seines Therapeuten zu der Entscheidung gelangt, er brauche nicht mehr den ganzen Tag nur herumzusitzen und so zu tun, als sei er beschäftigt, sondern er könne genauso gut auch die Wasserwerke davon überzeugen, dass er bei der Gemeindeverwaltung arbeitete, und die Gemeindeverwaltung davon überzeugen, dass er bei den Wasserwerken arbeitete; dann müsse er nur noch auftauchen, wenn es ein Problem gab, ansonsten aber könne er genauso gut nach Hause gehen und mit seinem Leben etwas Nützliches anfangen.«

Thorsten Nagelschmidt