Arbeit

Wie angenehm es ist, wenn man hin und wieder von außen bestätigt bekommt, nicht völlig auf dem Holzweg zu sein! Im März 2023 erschien in der britischen BBC ein Artikel mit der Überschrift: „Isle of Wight cow ‚faking sleep‘ attracts global sympathy“. Kaum eine Zeitung, kaum ein Sender stürzte sich nicht auf diese erbauliche proletarische Fabel: Der Milchkuh Doris war ein mehrfacher Coup geglückt. Zunächst hatte sie sich vor der Arbeit gedrückt, indem sie sich schlafend gestellt hatte – nicht lange unbemerkt von ihrem Milchbauern, John Brodie. Sie war schließlich zur Heldin einer Erzählung geworden, in der Worte wie „Arbeit“ oder auch „Streik“ nicht mehr ganz selbstverständlich nur menschlichen Akteur:innen zugeschrieben wurden, da und dort freilich mit Anführungsstrichen versehen – wissend, dass man eigentlich nicht alleine streiken kann. John Brodie erzählte mit aufrichtiger Wertschätzung und einer Art Stolz von seiner aufmüpfigen Kuh; als wäre er nicht ihr Chef, sondern ihr Kollege. Das bisschen Milch, das Doris an dem Morgen sonst wohl gegeben hätte, stand in keinem Verhältnis zu dem sozialen Kapital, das sich aus ihrer Geschichte ziehen ließ. Bauer Brodie schickte ein Video von Doris an seine Frau und die teilte es auf TikTok. Die Brodies machten also Doris berühmt und umgekehrt. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon unrühmliche zweieinhalb Jahre an einem Roman über arbeitende und die Arbeit verweigernde Tiere geschrieben und konnte die Bestärkung durch die wahre Geschichte von Doris’ heiterer Querulanz – und durch die Weise, wie davon berichtet wurde – gut gebrauchen.

Vielleicht finden kommende Revolutionen, kommende Kämpfe um soziale Gerechtigkeit, nicht ausschließlich auf städtischen Straßen und vor Autohäusern statt, an ihre Unabhängigkeit verteidigenden Universitäten oder in der Stille einer Bibliothek, wo soeben verbotene Bücher in den Regalen verbleiben. Sondern auch auf Zuchtstationen, in Mastbetrieben und in Hühnerfarmen, oder, wer weiß, in Baumschulen. Das Tier- und Pflanzenproletariat, mit seinen Krallen, Wurzeln, Hufen, Blättern, Knospen, seinen Nage- und Reißzähnen, seinen Nestern, Bauen, Kobeln und Kronen und Käfigen hätte jedenfalls allen Grund, für bessere Arbeitsbedingungen einzustehen. Den menschlichen Arbeiter:innen soll das nicht zum Nachteil gereichen, ganz im Gegenteil. Auch wenn Doris gewiss am nächsten Morgen wieder aufgestanden und zum Melkgeschirr gegangen ist, wenn keine der anderen Kühe im Stall sich ein Beispiel an ihrer Verweigerung zu nehmen gewagt hat und das Molkereipersonal nicht auf die Barrikaden gegangen ist, die Katzen im Stall weiter Mäuse jagen, die Schweine Trüffel und gut ausgebildete Hunde Tafelenten und Drogendealer, so kann Doris’ Schlaf der Gerechten doch immerhin als eine unverhoffte Gemahnung an das eigene Widerstandspotential begriffen werden.

Schlaf ist, darüber hat der amerikanische Essayist Jonathan Crary mit „24/7: Late Capitalism and the Ends of Sleep“ ein ganzes Buch geschrieben, das Gegenteil von Kapitalismus: diese rare Zeit jenseits aller Wertschöpfung, ohne das sich selbst perpetuierende Begehren, Geld zu verdienen, um es wieder auszugeben. Die Märkte schlafen nie, Elon Musk schläft nie durch und die Angestellten von X und Doge bekommen Zeitungsberichten zufolge Schlafsofas in ihren Büros aufgestellt. Doris’ versuchter Arbeitszeitbetrug kann auch als offene Einladung verstanden werden, ausnahmsweise einmal liegenzubleiben, um, während man reglos tut, von anderen Verhältnissen zu träumen. Und einem anderen Verständnis davon, wer wofür arbeitet, für wen und zu welchen Bedingungen.

Jana Volkmann