Erika Wimmer Mazohl

1957 in Bozen/Südtirol geboren, Studium der Germanistik, Vergleichenden Literaturwissenschaft und Anglistik in Innsbruck, von 1983 bis 2021 Mitarbeiterin des Brenner-Archivs; arbeitet als freie Autorin in Innsbruck. Mehrere Romane, Stücke und Essays, seit 2006 auch Lyrik-Publikationen, Verknüpfung von Text und Fotografie sowie Rauminstallationen: Spiel der Farben im Chor der Frauen, 2022. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Zuletzt erschienen: Wolfs Tochter, Roman, edition laurin 2022; Das zweite Gesicht. Gedichte zu Dante-Miniaturen von Markus Vallazza. Limbus Verlag 2021; Der Berg kommt, Verfilmtes Bühnenstück, Regie: Klaus Rohrmoser 2021. Löwin auf einem Bein, Roman, Limbus 2020; Orte sind, Gedichte, edition laurin 2019.

Im Kabinett in der Elternwohnung hängt das Foto eines Ölbilds, das einem Gemälde gleicht, welches in Margits Mansarde hängt, und obwohl es Irmingard ist, die sie zu Margit in die Sickingengasse mitnimmt, in das Haus im Schatten der hohen Pappeln am Straßenrand, hat sie seitdem immer den Eindruck, dieser Rabus habe die Verbindung zu Margit hergestellt. Sie sind über ihn in ein Gespräch gekommen, aus dem Irmingard ausgeschlossen blieb, weil sie von dem Maler noch nie etwas gehört hatte. Er war einer der vielen Unglücklichen, die 1940, nach dem deutschen Überfall auf Belgien, der Gestapo in die Hände gefallen ist und in ein Internierungslager in den Pyrenäen gesteckt wurde. In jenem November 1939 haben sie alle drei, Irmingard, Margit und sie, noch nicht das Ausmaß der kommenden Schrecken geahnt. Noch ging es um gegenseitiges Kennenlernen, um eine beginnende Freundschaft, um die Nähe zu Margit, in deren Haus sie nach diesem ersten Besuch immer wieder zurückgekehrt ist, weil dort Geborgenheit auf sie wartete. Wärme und Lebendigkeit, das in erster Linie, aber sie ist auch zu Margit gegangen, weil sie sich lossagen wollte von ihrer Herkunft, endlich und endgültig.

Aus: Wolfs Tochter. edition laurin 2022